DAS LEBENSLICHT

Zyklus, 1988

 

Aus dem Armenischen übersetzt vom Autor

 

I   

 

Ich wurde hinausgeschleudert aus dem Großen Weg

Wie ein kleiner Stein von einem fahrenden Rad:

Allseits sehe ich, was gerad' ist und was schräg,

Höhe und Tiefe liegen mir wie auf der Hand.

 

Räder, klein und groß, rollen mir entgegen,

Sausen einander vorbei und verschwinden aus der Sicht;

Sie hinterlassen Staub auf ihren krummen Wegen;

Ihre brennenden Spuren bleiben mir im Gesicht.

 

Ich habe für immer erkannt das Gute und das Böse,

Doch wurde mir nicht zuteil der Seele Ruh und Helle:

Das Dritte - das Unbekannte – das dunkle Namenlose,

Tauscht jäh ihre Plätze wie mit Blitzesschnelle...

 

Düstere Zweifel haben mich ausweglos umzingelt,

Sie reden laut, dringen rein, durchstechen mir das Herz;

Leicht und heiter konnte ich tragen die Last der Welt,

Mich schlug zu Boden nieder meiner Seele Schmerz…

 

 

II

 

Es gibt kein Geheimnis zwischen Erde und Himmel:

Ein wirkliches Trugbild ist das Leben selbst,

Alle Ideen sind bedeckt mit des Wortes Schimmel;

Unberechenbar ist die Natur wie ein wilder Hengst.

 

In Strömen, groß und klein, fließt alles still dahin;

Bliebe der Augenblick stehen, wär’s ein Tod ohne Wiederkehr;

Plötzlich verliert das Ganze seines Daseins wahren Sinn,

Und Ironie des Unbekannten enthüllt aller Dinge Kern.

 

Alles bleibt unvollendet auf seinem langen Weg,

Wird zum Staub, fliegt dahin, ohne Namen, ohne Halt;

Das Gerechte und Ungerechte, Gut und Böse, Wort und Werk

Sind gestaltlose Schatten einer maskierten Gewalt...

 

Liebe, Schicksal und Gesetz – Trugbilder wahr und falsch,

Alles ist ein Geheimnis – ohne Wann und ohne Hier;

Sie haben sich verwandelt in eine knallende Peitsch‘       

Und treiben mich still dahin wie ein sprachloses Tier…!  

 

 

III

 

Aus einer unbekannten Tür trat ich in die Welt herein

Und blieb erstaunt und ratlos mitten im Licht stehen:

,,Was ist für mich vorbestimmt in diesem neuen Dasein…?‘‘ 

Ich wandte mich angstvoll um: die Tür war nicht zu sehen…!

 

Ich horchte auf: ringsherum war nur stumme Stille;

Unruhig schlug mein Herz in den Weiten, nah und fern;

Ich maß die Abgründe, getrieben von einem fremden Willen,

Ich ging, ich kam und traf ich mich selbst wie einen fixen Stern...

 

Jahrhunderte der Hoffnung vergingen stumm, ohne Wenden;

Und immer noch stehe ich an des Geheimnisses Schwelle;

Die Maske des Lichtes riss ich ab mit zittrigen Händen;

Es spie mir ins Gesicht der Finsternis trübe Welle...

 

Plötzlich erwacht in mir eine Erinnerung uralt,

Die unberührt und frei ist von den Schatten der Zeit:

Vielleicht habe ich einst gehabt eine andere Gestalt;

Nach dem Tode bin ich geraten in diese Welt schweren Leids… 

 

 

IV

 

Von Geburt an bin ich mit einem Heiligenschein umgeben;

Gesät hat er in mir eine Liebe, still und rein,

Die heilig ist wie des Lichtes unerschaffenes Leben,   

Sie reicht von meiner Seele bis zur Mitte des Alls hinein.

 

Er strahlt einsam und friedlich wie unsichtbarer Sonnenkranz;

Nie und niemals erreichen ihn Lärm und Staub dieser Welt:

Mit ihren düsteren Spiel – Gesetzen, schön und hässlich, halb und ganz; 

Mit ihrer Freude und Schmerz, blind wie ein wildes Element...

 

Er bringt mir der Versöhnung unendliche Ruh und Fried´

Gegen alle Versuchungen, die mich bedrohen Tag und Nacht,

Auch eine Gleichgültigkeit, hehr wie des Himmels Sternenlied:

Gegen zahllose Verluste, die mich stürmen mit aller Macht...

 

Auf die Welt, auf die Zeit, meine Seele voller Gischt

Wirft er sein stilles Licht der ewigen Quelle:

Ich war, ich bin und werde sein, solange er noch da ist,

Bis Welt und Zeit verschwunden sind in Nichts schwarzer Welle...    

 

 

V

 

Ich weiß, es kommt ein Tag wie ein Alptraum,

Eine schwarze Zeit bricht über mich herein,

Meine Hoffnungen zerstreuen sich still und stumm,

Der Welt gegenüber bleibe ich mutterseelenallein.

 

Und meines Lebens alle hellen Sternstunden,

Deren Anblick ich genoss wie einen strahlenden Hort,

Werden mir schlagen brennende Wunden,

Wie durch einer bösen Eingebung Zauberwort.

 

Traum von der Vollkommenheit, unbefleckt und licht,

Den ich lebenslang getragen in Not,

Wird mir seine kalte Ironie speien ins Gesicht;

Und ich erkenne auf einmal den Tod...

 

Und der Verschwörung und des Glaubens Waagschalen

Werden zum Ausgleich kommen in dunklen Bahnen;

Das Gute und Böse werden zu Gericht sitzen in Hallen  

Und das Leben aus mir unwiderruflich verbannen...

 

 

VI 

 

Es gab mich, genauso wie Gott, in diesem Leben nicht:

In den Tiefen der Welt, fern und lautlos,

Wachte ich unauffällig über Dunkel und Licht,

Und trauerte in meinem Kinderherzen über ihr Los.

 

Als der Verstand erwachte, lehnte sich meine Seele auf,

Flocht aus tausenden Fäden des Unerschaffenen Wahn;

Das Leben nahm immer wieder denselben Anfang und Lauf

Als Vergeltung gegen des Schicksals unwiderstehlichen Bann.

 

Jetzt tappe ich hin und her, schlage mich gegen Wände;

Nichts verstehe ich von der Welt, sie ist dunkel und wirbelwirr,

Die Liebe und der Glaube waschen in Unschuld ihre Hände;

Meine Schritte führen zum Abgrund, unaufhaltsam und irr... 

 

Ach wenn ein lichter Augenblick plötzlich aufflammen würde,

Und mein Gesicht zu sehen wäre ganz und in all seinen Zügen,

Würde ich dann den Tod treffen, ohne mit der Wimper zu zucken,      

Und, verachtend Menschen und Gott, ihm still folgen voller Würde…! 

 

 

VII

 

Mit kindlicher Liebe, mit kindlichem Verstand

Suchte ich den Menschen überall:

Im Himmel, im Wind, im Wasser, im Sand,

In meinen Träumen, ohne Wahl.

 

Ich glaubte nicht, dass ich ein Mensch bin,

Dass der Mensch ein Mensch ist, glaubte ich nicht:

Ich starrte zu seiner wundersamen Ankunft hin:

Jetzt würde er erscheinen, prachtvoll und licht…!

 

Er wäre weder stark und böse, noch gut und schwach,

Sondern nur ein Mensch, ganz und schlicht;

Dann folgten qualvolle Rufe, ob im Schlaf, ob wach;

Doch kam er mir nirgends zu Gesicht...

 

Ratlos stehe ich jetzt, von Träumen entleert:

Was kann ich erreichen mit einem kindlichem Wahn…?

Mir lacht ins Gesicht die verkehrte Welt,

Als ob... ich selbst wäre der wundersame Mann…!    

 

 

VIII

 

In der Zeit, außerhalb der Zeit

Dreht sich ein unsichtbares Rad;

Jeden Augenblick blitzt ein Licht;

Zahllose Gesichter kommen in Sicht.

 

Sind sie gleich oder verschieden?

Was steht ihnen auf der Stirn geschrieben?

Wohin eilen sie? Das weiß niemand…!

Es dreht sich, dreht sich das dunkle Rad…!

 

Irgendein ,Sieg‘ , irgendein ,Rennen‘

Zucken im Nu auf, verschwinden geschwinde...

Geburt und Höhe! Abgrund und Tränen!: 

Immer wiederholt sich dieselbe Geschichte...

 

Mag sich das Rad ewiglich drehen!

Mein Lebensaugenblick ist unberührt und rein;

Am Rande des Abgrunds zerrissen stehend,

Träume ich von meinem heiligen Sein... 

 

 

IX

 

Meine Träume flimmerten und sind für immer vorüber;

Mich zieht herunter eine dunkle und unsichtbare Hand;

Jemand bringt mich vom Wege ab und führt zum Übel;

Wohin auch ich fliehe, ist vor mir dieselbe Wand.

 

Ist es ein blinder Zufall oder der Vorsehung höchstes Gesetz?

Freiheit wird vorbehalten den Tyrannen, süchtig und geil;

Reichtum kommt den Habgierigen als Goldner Fisch stets ins Netz;

Das Glück wird als Belohnung den Unwürdigen immer zuteil...

 

Gerechtigkeit sah mich leiden, ließ verbluten, nahm mit mein Hemd;

Freiheit fand mich gedemütigt, zwang mich, noch ins Knie zu fallen;

Wahrheit hat mich ausgelacht und mit Zweifeln allseits gelähmt;

Frieden hat mich gezielt gejagt in des Todes Versteck – Fallen...

 

Was sein sollte, kam abhanden; was nicht sein sollte, fand sich im Licht:

Trüb bis zur Unkenntlichkeit ist mein Gesicht wieder entstellt;

Vergangenheit währte ewig, die Zukunft kam ganz und gar nicht;

Mir ist es, gegen mich selbst wären erschaffen Leben und Welt...       

 

 

X 

 

Ich war versunken im tödlichen Schlummer;

Mein Name war nur da - ein leeres Maß;

Meine Seele wiegte ein dunkler Kummer;

Die Erinnerung zog einen trüben Kreis.

 

Plötzlich vernahm ich eine ferne Stimme,

Als gelangte mir mein Geburtsschrei an die Ohren,

Ihr lichter Klang ging durch all meine Sinne;

Und ich erwachte wie neu geboren…!

 

Nun fühle ich klar: Zelle um Zelle

Verlässt mein verstörter Blick die Angst;

Es schimmert allmählich eine neue Helle;

Noch eine Weile, ich werde ganz…

 

Mein Glaube - wie Sonne, meine Hoffnung – wie Stern,

Rufe ich meine Liebe und fange an, zu gehen,

So wird die Erde unter meinen Füßen zittern,

Die Welt kann meiner Kraft nicht mehr widerstehen…!

 

 

XI

 

In des Weltalls abgrundtiefen Licht und Dunkel,

Wo der Wind der Geburt und des Todes weht,

Schwebt ein Heiliger Geist, allseits funkelnd,

Über die Welt, die stirbt und aufersteht.

 

Er hat keinen Namen und auch kein Gesicht;

Er ist nicht die Erinnerung an die Vergangenheit;

Nicht der Zukunft träumerisches Licht;

Nicht die schattige Weite der Gegenwart...

 

Und jede Hand streckt sich immer wieder nach ihm;

Nach ihm trachtet jeder geträumter Traum,

Sie suchen, zu erreichen seinen einzigen Sinn;

Doch berühren seine Konturen kaum...

 

Er strahlt ewig gegen die dunkle Welt,

Lässt uns den Verlauf aller Dinge sehen:

Es ist vergangen, was sich noch hält,

Was schon vorüber ist, muss noch geschehen…  

 

 

XII

 

Ich sah einen finsteren und düsteren Traum:

Die Welt ging zugrunde, das Feste und das Lose;

Der Staub tobte im verfallenen Raum

Und begrub den Mythos von Gut und Böse.

 

Ich stand in der Höhe wie ein unerschütterlicher Mast,

Mein Herz jauchzte, trotz tödlicher Wunde:

„Geh unter, wie du mich zugrundegerichtet hast…!

Sie ist da, der Vergeltung gerechte Stunde…!“

 

Es stieg empor eine lautlose Melodie,

Als singe die Asche in der brennenden Weite;

Es war gleichsam das ersehnte Lied der Harmonie,

Von der ich Jahrtausende lang geträumt hatte.

 

Ein ödes Entsetzen packte mich plötzlich;

Mir war, als ob ich aus dem Nichts erwacht wäre...

Die Welt war dieselbe; nur fehlte ich;

Ein kleiner Trauerzug trug mich still in die Ferne... 

 

 

XIII

 

Meine Seele fiebert in machtloser Wut;

Grausig ist die Welt, dunkel und verschlagen;

Die Träume spucken sogar spritzendes Blut...

Sterben will ich, nichts fühlen, nichts sagen. 

 

Auf schwarzem Thron finsterer Geheimnisse

Zecht die Ränke stolz, um sich zu entspannen;

Um sie herum tanzen im jubelnden Unwissen

Henker und Opfer sorglos zusammen.

 

Wie kann ich vor diesem Alptraum fliehen?

Alle Türen sind zu, bewacht in aller Härte;

Ich werde gestochen von außen und innen,

Kein Schimmer, an den ich mich klammerte...

 

Hoffnung und Traum wurden zum Staub, Gischt;

Qualen und Tränen sind meiner Mühe Lohn...

Selig bist du, Gott, dass es dich nicht gibt!;

Der vergöttlichte Mensch ist der schrecklichste Hohn…! 

 

 

XIV

 

Mit denklosem Blick und leeren Herzens,

Gigantisch wie der heilige Ararat-Berg,

Stehe ich nun, bar jedes Schmerzes,

In meinem Schatten liegt die Welt.

 

Unter meinen Füßen, in dunklen Weiten,

Leben und Tod eifern nach ewiger Macht;

Liebe und Hass ersticken in heftigen Streiten;

Gut und Böse liefern die letzte Schlacht.

 

Zahllose Zeiten ziehen Tag und Nacht,

An meinem Knie vorbei, Hand in Hand;

Die Ewigkeit starrt ihnen lächelnd nach,

Wo ihr Schwarm spurlos verschwand...

 

Immer wieder schonungslos zertreten mich:

Lärm, Zeit, Raum, Leben und Tod...

Taub, stumm und gleichgültig bin ich;

In mir weint still der große Gott.   

 

 

XV 

 

In meinem Nichtsein, rein und göttlich,

In endlosen Sphären, keusch und unberührt,

Knetete ich das gestaltlose Licht,

Um nicht zu spüren vor der Leere Furcht.

 

Ein kleiner Tropfen sprang plötzlich

Auf die Finsternis; und zum ersten Mal

Sah ich mein Gesicht in seinem Strahl;

Und unwiederbringlich verlor ich mich.

 

Und ich suchte nach meinem Wesen

In mir, außerhalb mir, doch fand es nicht;

Auf seine heilige Wiederkehr wartend,

Tappe ich noch auf Erden, blind.

 

Bin ich ein Gott? Ein Mensch? Kann es mich geben?

Oder bin ich das Nichts selbst, des Nichts Schein…?

Ich verlor für immer das wahre Leben

Und fand den Tod, um zu sein. 

 

 

XVI

 

Die Zeit hinab, die Zeit hinauf

Gehe ich durch den tobenden Raum;

Die Begierden schäumen allseits auf

Und schleudern Fluch, Leid und Traum.

 

Auf meinem Gesicht fühl ich wie im Fieber

Schatten eines Blicks wie ein Wind wehen...    

Tote Hoffnungen sterben wieder,

Die alten Ängste auferstehen.

 

Eine ferne Erinnerung erwacht,

Sticht mir das Herz und blitzt durch den Sinn; 

Es scheint, eine namenlose Macht

Reißt mich von mir fort und bringt dahin...

 

Ich blicke in die Ferne mit stillem Kummer,

Fern von mir selbst, fremd meinem Leben...

So wird es eines Tages mich nicht mehr geben;

Es wird aber scheinen, ich lebe noch immer. 

 


XVII

 

Als die Strahlen der Offenbarung auf mein Gesicht fielen,

Und mir die Liebe öffnete ihr ruheloses Wesen,

Schien es, mein Dasein sei eine Gabe von meinem Willen:

Es werde leben oder sterben nach meinem Ermessen.

 

Es schien, die Finsternis sei für ewig weg;

Ich sei immer da, was auch geschehen sollte;

Das Weltall folge mir auf meinem Weg;

Es werde leben oder sterben, wenn ich es wollte.

 

Ich wandte mich um und sah: ich bin voller Tod;

Unzählige Gefahren drohen mir;

Vorne geht mein Leben müde und besorgt,

Und ich laufe ihm gehorsam hinterher. 

 

Ich stehe jetzt besiegt und allein,

Wache sogar über meine ungeborenen Gedanken;

In meinem Rücken atmet das dunkle Unbekannte,

Und ich zittere um alles Sein...