DAS MEER
Zyklus,1979
Aus dem Armenischen übersetzt vom Autor
DAS GEHEIMNIS
Meer, wer kann deine Geheimnisse durchschauen?
Deine Wellen wissen nicht, was sich in dir verbirgt.
Unaufhörlich-unaufhaltsam, mit blindem Eifer
Fliehen sie ewig vor dir, doch warum und wohin?
Einander stoßend, stürzen sie zum Ufer hin;
Und gehen dabei zugrunde im Sand der Erlösung...
Meer, wer kann deine Geheimnisse durchschauen?
Jede Welle stirbt mit einem fröhlichen Lied...
DER TRAUM
Ballade
Man sagt, ein junger Seemann träumte vor vielen Jahren
Von einer Nixe mit feuerroten Haaren.
Auf der Suche nach seiner Schönen zog er aus,
Verließ eines Morgens früh seines Vaters Haus.
Man kennt das - er ging zugrunde, der junge Mann,
Aber das Meer gedachte seiner fortan.
Man sagt, die Möwe hätt’ die Seele vom Seemann,
Aber wer durchschaut des Meeres Treiben? und wann?
Die Möwen, blindwütig, gierig - ich sehe sie -
Stürzen sich auf des kleinen Fisches Traum wie nie.
Zerfetzen in Stücke mit des Taubtiers Trieb den Fisch –
Der Matrosen Seele: Ist’s womöglich der kleine Fisch?
(Übersetzung von Raffi Kantian)
DAS MÄRCHEN
Ballade
Man sagt, in einem prachtvollen Schloss
Wohnt ein Goldner Fisch im Meeresschoß.
Im Traum erscheint er zahllosen Fischern
Als Gabe des Schicksals, strahlend und fern.
Tag und Nacht sitzen sie am unbekannten Strand
Und weben ein goldenes Netz mit geschickter Hand.
Unermüdlich weben sie es mit Lied und Gesang:
Eines Tages hätten sie ihren großen Fang!
Der Goldene Fisch flieht in den Meeresgrund;
Und der Fischer Netz wird zum Leichentuch...
Ich hörte dieses Märchen, am Strand liegend;
Ein totes Fischchen lag auf dem Meer wiegend.
Ich schaute: die Sonne entflammte und sank;
Die Wellen trugen in die Fern einen goldenen Sarg...
DAS LIED
Im Traum versunken, still und leer,
Schlummerte, wie betäubt, das Meer.
In seinen Tiefen, endlos und stumm,
Tobte das Chaos in Ungestüm.
Sonne, ein Opfer, vom Meer betrogen,
Starb mit bitterem Lächeln in schäumenden Wogen.
Die letzte Erinnerung an ihr Hinscheiden
Trug ein Wind leichthin in die dunklen Weiten.
Eine verlassene Frau weinte leise am Strand,
Dämmerung sank langsam auf den feuchten Sand.
Sie schlich unmerklich heran wie Angst und Trübsal;
Und die Frau weinte um ihr Schicksal...
Alles löste sich auf im nächtlichen Wind;
Und die Nixe sang ihr inniges Lied...
AUSWEGLOSIGKEIT
Unmerklich durchdringt die Dämmerung tief
Den Körper der Stadt, die vor Begierden fiebert;
Dem Leid der Verluste hilflos ausgeliefert,
Wandere ich durch die Gassen, dunkel und schief.
Betrunken tobt man drüben im trübheißen Licht,
Lässt seiner Seele schwarze Galle ausströmen;
Eine blasse Dirne mit magerem Gesicht
Fleht Gott um Hilfe an und schluchzt beklommen...
Ich ziehe mich zusammen, und meine irren Schritte
Bringen mich stumm dahin, wo das Meer ruhig schläft;
Eine müde Möwe zieht am pechdunklen Himmel
In die wimmelnde Stadt, die Flügel tief gesenkt.
"Du hast das Meer verlassen und fliegst davon, in die Stadt;
Ich verstehe dich, Möwe, zum Käfig wurde dir das Meer!
Sieh, ich fliehe auch vor meinem Käfig, eng und breit…!"
Und die Finsternis umhüllt das ganze Weltall, kalt und leer...
DER TOD
Das Ufer war still und öde;
Es war nur der brennende Sand;
Es starb die Seele der Möwe -
Hilflos, ermüdet und alt.
Sie starb. Und in ihren Augen
Verblich des Meeres Glut;
Die Ferne lachender Wogen
War wie eine düstre Kluft.
Gewaltig kam eine Welle,
Zerbrach und verschwand sofort...
Sinnlos - was erlebt von der Seele!
Sinnlos - was einmal erhofft!
Es war fremd und quälend fern
Die blaue Weite der Wogen...
Plötzlich entflammte wie ein Stern
Ein Feuer in trüben Augen.
Es schien, sie höre den Ruf
Einer fernen Erinnerung...
Ein letztes Mal schrie sie dumpf
Und sank in die Dämmerung...
© Sevak Aramazd